Pressemitteilung, 04. Dezember 2021. Das Plenum des Berliner Energietisches sieht in dem vorliegenden Entwurf der Koalitionsvereinbarung durchaus Unterstützungswertes, sich aber zugleich zu Kritik herausgefordert.
Wir hatten wesentlich konkretere Aussagen in Sachen demokratische, gerechte und solidarische Energiewende erwartet und sehen nicht, wie Berlin die Erlangung des Pariser Klimazieles absichert. Offenbar brauchen die drei Koalitionsparteien Nachhilfe und Nachdruck, um ihren energiepolitischen Kurs sozial und ökologisch nachhaltig zu schärfen sowie gleichzeitig das Tempo der Energiewende zu beschleunigen.
Absichtserklärungen und Prüfaufträge waren noch nie ausreichend und müssen in ihrer Gewichtung von uns als nicht hinnehmbare Beschwichtigungsversuche gewertet werden. Dass grundsätzliche Nachhilfe gebraucht wird, zeigt sich bereits darin, dass die UN-Vereinbarungen von Paris (COP21) aus dem Jahr 2015 und die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG2030) nicht ausreichend zusammengehörig behandelt werden.
Entgegen der Prämisse, den „wirtschaftlichen Aufschwung, Sozialverträglichkeit und Klimaschutz zusammen“ zu „ [denken]“ (S.4), halten wir es für erforderlich, soziale Gerechtigkeit, Klima- und Umweltschutz im Gesamtzusammenhang zu sehen, der auch die Wirtschaftspolitik bestimmen muss.
Wir hatten erwartet, bereits konkrete budget- und sektorbezogene Vorgaben zur Senkung klimaschädlicher Emissionen um mindestens 70 Prozent bis 2030 (gegenüber 1990), zur Steigerung von Energieeffizienz, zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien bei der Produktion bzw. Nutzung in der Koalitionsvereinbarung vorzufinden. Das überholte Ziel, erst 2045 Klimaneutralität (S. 16) zu erreichen zu erreichen (S. 46), enttäuscht und provoziert uns. Das gilt umso mehr, da seine Erlangung nicht einmal durch Zwischenziele überzeugend untersetzt ist. Da hilft der für 2035 angestrebte solare Anteil von 25 Prozent an der Stromversorgung gar wenig. Wir werden hier also nachhelfen müssen und den künftigen Senatsausausschuss Klimaschutz kritisch begleiten. Dasselbe gilt für die beabsichtigte Steuerung der Klimaziele auf der „Basis eines verbesserten, kontinuierlichen, transparenten Monitorings durch sektorale Mengensteuerung, das die Maßnahmen und ihre Wirkungen in den einzelnen Handlungsfeldern möglichst zielgenau abbildet“ (S. 44).
Wir orientieren uns weiterhin an unserem Gesetzentwurf über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung von 2013 und unseren fortschreibenden Positionspapieren. Daher fragen wir die Koalitionsparteien insbesondere,
- Was sie mit folgender Passage konkret meinen: „Die Koalition strebt mehr Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger*innen mittels der BürgerEnergie Berlin am Stromnetz an, um so den Berliner*innen die Möglichkeit zu geben, die Energiewende konkret mitzugestalten und zu einem öffentlichen Unternehmen neuer Art beizutragen.“ (S. 47)
Wie garantieren sie hier, dass das Stromnetz vollständig in öffentlicher Hand bleibt?
- Warum eine Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes mit dem Ziel einer beschleunigten Dekarbonisierung lediglich als vage Absicht genannt wird und warum die Rekommunalisierung der Gasnetze als Weg einer demokratischen, sozialen und solidarischen Energiewende lediglich zu prüfen ist.
- Warum ausgerechnet bei den Themen energetische Gebäudesanierung/zu gewährleistende Warmmietenneutralität, Energiearmut und Mobilität nicht klar festgelegt wird, wie klimapolitische Herausforderungen konsequent angegangen werden und die Lebensqualität der Bürger*innen, insbesondere der sozial Schwächsten, verbindlich verbessert wird?
Darüber hinaus veranlasst uns der Entwurf des Koalitionsvertrages, ausgehend von unseren Wahlprüfsteinen unsere Forderungen und Positionen zu bekräftigen:
I. Klimaschutz – Grundsätzliches
- Festlegung von spätestens 2040 als Zieljahr für die Erlangung von Klimaneutralität
- Rasche diesem Ziel entsprechende Festlegung sektorbezogener Reduktionsziele für klimaschädliche Emissionen gegenüber 1990 und konsequente Arbeit mit dem Budgetansatz
- Klare Definition der Rechte und Pflichten des „Berliner Energie- und Klimaschutzrates“ und des Bürgerrates (S. 45)
- Klärung, dass und wie die Bezirke und öffentlichen Unternehmen ihren Anteil an der Erlangung von Klimaneutralität bis spätestens 2040 verbindlich leisten müssen
II. Energetische Gebäudesanierung
- Sicherung, dass die jährliche Sanierungsrate im Wohngebäudebestand signifikant erhöht wird
- Garantierte Prüfung der Kosten für Gebäudesanierungen und Koppelung ihrer Umlagefähigkeit im Verhältnis zur Wirksamkeit
- Verpflichtung zur Nutzung von Förderprogrammen, zur Unterstützung der Forderung nach Gewährleistung von Warmmietenneutralität
- Einführung eines Erneuerbare-Wärme-Gesetzes mit verbindlichen Standards – ausgerichtet an der spätestens 2040 zu erlangender Klimaneutralität – für die Nutzung von erneuerbarer Wärme
III. Defossilierung
- Verhinderung von Lock-In-Effekten bei der Substitution von Kohle- durch fossile Gaskraftwerke im Zusammenhang mit dem Berliner Kohleausstieg, z.B. durch H2-readyness der Kraftwerke
- Ermittlung realitätstauglicher Potenziale von grünem Wasserstoff sowie deren praktische Umsetzung, insbesondere durch eine enge Abstimmung mit Brandenburg
- Klare Aussagen und Festlegungen zum Ausstieg aus der Müllverbrennung und der Erdgasnutzung
- Landeseigene Regulierung der Fernwärme mit dem Ziel der Verpflichtung zur Öffnung der Netze sowie Einspeisevorrang für EE-Wärme (auch von Drittanbietern)
- Klärung und Festlegung zum Einsatz kommender erneuerbarer Wärmealternativen und der Finanzierung ihrer Einführung
IV. Strom aus erneuerbaren Energien
- Durchsetzung der Solarpflicht für Neubauten und für die Dachsanierung von Bestandsgebäuden, insbesondere bei landeseigenen Immobilien sowie deren verbindliche Überprüfung
- Ergreifung konkreter Initiativen auf Bundes- und EU-Ebene, um den Ausbau der Stromgewinnung aus und den Transport von erneuerbaren Energien zu beschleunigen
- Ergreifung konkreter Maßnahmen, um den Erfolg und die weitere Realisierung von Mieter*innenstrom zu unterstützen und zu fördern
V. Energiearmut
- Klare Untersetzung der Absichtserklärung „Um Energiearmut zu vermeiden, möchte die Koalition die Zahl der Strom- und Gassperren verringern und bei sozialen Härten ganz vermeiden. Sie wird die Energieschuldenberatung derVerbraucherzentrale verstetigen. Die Koalition setzt sich auf bundespolitischer und europäischer Ebene für ein Verbot von Stromsperren und für die Übernahme von Zahlungsausfällen durch die Sozialleistungsträger ein.“ (S. 48)